Was wir Euch allen wünschen …

Ich wünsche dir nicht alle möglichen Gaben.
Ich wünsche dir nur, was die meisten nicht haben:
Ich wünsche dir Zeit, dich zu freun und zu lachen,
und wenn du sie nützt, kannst du etwas draus machen.

Ich wünsche dir Zeit für dein Tun und dein Denken,
nicht nur für dich selbst, sondern auch zum Verschenken.
Ich wünsche dir Zeit – nicht zum Hasten und Rennen,
sondern die Zeit zum Zufriedenseinkönnen.

Ich wünsche dir Zeit – nicht nur so zum Vertreiben.
Ich wünsche, sie möge dir übrig bleiben
als Zeit für das Staunen und Zeit für Vertraun,
anstatt nach der Zeit auf der Uhr nur zu schaun.

Ich wünsche dir Zeit, nach den Sternen zu greifen,
und Zeit, um zu wachsen, das heißt, um zu reifen.
Ich wünsche dir Zeit, neu zu hoffen, zu lieben.
Es hat keinen Sinn, diese Zeit zu verschieben.

Ich wünsche dir Zeit, zu dir selber zu finden,
jeden Tag, jede Stunde als Glück zu empfinden.
Ich wünsche dir Zeit, auch um Schuld zu vergeben.
Ich wünsche dir: Zeit zu haben zum Leben!

Elli Michler (1923-2014)

„Überwintern“ – Gedicht von Silvia Plath

Sylvia Plath (1932-1963) war eine amerikanische Schriftstellerin. Erste Arbeiten veröffentlichte Plath bereits zu Lebzeiten, der literarische Erfolg setzte aber erst postum nach ihrem Suizid mit der Veröffentlichung nachgelassener Gedichte ein.
Als Plaths Hauptwerk gilt ihre Lyrik, insbesondere der nachgelassene Lyrikband Ariel, dessen letzter Text „Überwintern“ heisst und häuslich-ländlichen Verrichtungen nachgeht, die in der unwirtlichen Jahreszeit das Überleben sichern. Selbst Imkerin, sind die Bienen bei Plaths vielgebrauchtes Sinnbild für die Wirrungen des Menschenlebens .
(Quellen: Wikipedia, FAZ)

Überwintern
Dies ist die ruhige Zeit, nichts tut sich.
Ich habe die Schleuder der Hebamme gewirbelt,
Ich habe meinen Honig,
Sechs Gläser voll,
Sechs Katzenaugen im Weinkeller.

Überwintern in einem fensterlosen Dunkel
Im Herzen des Hauses
Neben der ranzigen Marmelade des letzten Mieters
Und Flaschen voll leeren Geglitzers –
Sir So-undsos Gin.

Dies ist der Raum, in dem ich nie war.
Dies ist der Raum, in dem ich nie atmen könnte.
Hier ballt sich die Schwärze wie eine Fledermaus,
Lichtlos,
Nur der Taschenlampe schwaches

Chinesisches Gelb auf abstossenden Objekten –
Schwarze Verblödung. Verwesung.
Besitz.
Sie sind’s, die mich besitzen.
Weder unbarmherzig noch abgestumpft,

Nur unwissend.
Dies ist die Zeit des Durchhaltens der Bienen. Bienen –
So langsam, dass ich sie kaum erkenne.
In Reih und Glied wie Soldaten,
Hin zur Dose mit Sirup,

Der ihnen den Honig ersetzt, den ich nahm.
„Südzucker“ macht ihnen Beine,
Der veredelte Schnee.
Sie leben von Raffinade statt Blumen.
Sie nehmen es, wie es kommt. Die Kälte setzt ein.

Jetzt verknäueln sie sich zu einer Masse,
Schwarz –
Gesinnt gegen all das Weiss.
Das Lächeln des Schnees ist weiss.
Es breitet sich aus – ein meilenweiter Meissener-Porzellan-Leib,

In den sie, an warmen Tagen,
Nur ihre Toten tragen können.
Alle Bienen sind Frauen,
Die Dienstmägde und die grosse royale Dame.
Männer haben sie abgeschafft,

Die stumpfen, plumpen Stolperer, diese Tölpel.
Winter ist was für Frauen –
Die Frau, die still vor sich her strickt,
An der Wiege aus spanischer Walnuss,
Ihr Körper eine Steckzwiebel in der Kälte, zu dumpf, um zu denken.

Wird der Schwarm überleben, wird es den Gladiolen
Glücken, mit ihrem Feuer zu haushalten,
Um ein weiteres Jahr zu schaffen?
Wonach werden sie schmecken, die Schneerosen?
Die Bienen fliegen. Sie probieren den Frühling.

(Übertragung Alissa Walser)

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Silvia Plath in 1957 und eine Zeichnung von ihr.

„Die Bienen fallen in den dünnen Röcken…“ – Gedicht von Georg Heym

In Erwartung des ersten Raureifs…

Georg Heym war ein deutscher Schriftsteller. Trotz seines kurzen Lebens gilt er heute als einer der bedeutendsten Lyriker deutscher Sprache und Wegbereiter des literarischen Expressionismus. Er verunglückte beim Schlittschuhlaufen auf der Havel tödlich, als er einen eingebrochenen und ertrinkenden Freund retten wollte.
(Quelle: Wikipedia)

Georg Heym (1887-1912)

Die Bienen fallen in den dünnen Röcken
Im Rauhreif tot aus den verblaßten Lüften
Die nicht mehr kehren rückwärts zu den Stöcken.

Die Blumen hängen auf den braunen Stielen
An einem Morgen plötzlich leer von Düften,
Die bald im Staub der rauhen Winde fielen.

Die langen Kähne, die das Jahr verschlafen,
Mit schlaffem Wimpel hängend in der Schwäche,
Sind eingebracht im winterlichen Hafen.

Die Menschen aber, die vergessen werden,
Hat Winter weit zerstreut in kahler Fläche
Und bläst sie flüchtig über dunkle Erden.


(Bild: schweizergarten.blogspot.ch)